In dieser letzten Stadtpuls Story möchten wir Euch einen kleinen Einblick in die Entstehungsgeschichte von Stadtpuls geben, welche Faktoren ausschlaggebend sind für die Einstellung und was wir aus dem einjährigen Betrieb gelernt haben für unsere nächsten Projekte am CityLAB.
Zuerst das Wichtigste in Kürze:
Die einjährige Testphase ist erfolgreich abgeschlossen. Wir sind nach reiflicher Überlegung zu dem Ergebnis gekommen, das Projekt Stadtpuls vorerst nicht weiterzuführen und den Dienst zum 31. Januar 2023 abzuschalten. Die Seite bleibt (in reduzierter Form) bestehen, neue Registrierungen sind aber ab dem 16.01.2023 nicht mehr möglich, zum 31.01.2023 können dann auch keine Daten mehr an die Plattform gesendet werden. Wir bitten alle aktiven Nutzer:innen, bei Bedarf Eure Sensordaten zu sichern. Alle Accounts und persönlichen Informationen werden nach dem Shutdown vollständig gelöscht. Solltet Ihr Fragen haben oder Hilfe benötigen, schreibt uns gerne in unserem Github Forum.
Eine offene Datenplattform für IoT-Projekte
Sensordaten können in Echtzeit Veränderungen abbilden und für die Gestaltung einer lebenswerten Stadt sehr wertvoll sein. Sensoren helfen uns dabei, die Temperatur in öffentlichen Einrichtungen zu messen und helfen so, Heizkosten zu sparen. Sie können die CO2-Belastung in Schulräumen überwachen und bei kritischen Werten erinnern, zu lüften. Sie können die Lautstärke an unterschiedlichen Punkten einer Stadt messen und so auf stressverursachenden Lärm aufmerksam machen (dazu haben wir übrigens eine tolle Stadtpuls Story: "Der Rhythmus des Wrangelkiez"). Sie können Verkehrsströme aufzeichnen, volle Mülleimer erkennen oder den Bewässerungszustand von Bäumen messen (wie in dem Forschungsprojekt "Quantified Trees" der Technologiestiftung Berlin).
Wir haben Stadtpuls entwickelt, um für diese und viele weitere Anwendungsfälle eine offene Plattform zu schaffen, die Anbieter von Sensordaten (z.B. Forschungstreibende, Hobbybastler:innen aber auch städtische Betriebe) mit Menschen verbindet, die diese Daten für die Gestaltung der Stadt nutzen (etwa Data Scientists, Datenjournalisten, Wissenschaftler:innen, Verwaltung oder Stadtplaner:innen). Quasi ein "Github für Sensordaten", mit offenen Daten, die das Wissen der Stadt anzapfen.
Citizen Science für alle, natürlich Open Source.
Um die unterschiedlichen Zielgruppen anzusprechen, war es uns von Anfang an wichtig, ein leicht zugängliches Angebot zu schaffen, das wenig technische Erfahrung voraussetzt. Das zeigt sich vor allem in unserer umfangreichen Dokumentation, die neue Nutzer:innen mit nachvollziehbaren Erklärungen und Code-Beispielen an die Hand nimmt. Wer darüber hinaus Unterstützung braucht, bekommt in unserer Github Discussion Gruppe schnelle Hilfe durch die Entwickler:innen. Ebenso wichtig für uns ist die visuelle Ansprache, die spielerisch und einladend Lust machen soll, erste Schritte im Bereich IoT – kurz für "Internet of Things" – mit uns zu gehen.
Unsere Stadtpuls Stories, ein weiterer Baustein für eine leicht zu verstehende Plattform, zeigen die Potenziale von sensorbasierten Echtzeitdaten nachvollziehbar auf. Sie nutzen das Format des Datenjournalismus, um Praxisbeispiele zu zeigen, etwa das COMo-Projekt "Einem Molekül auf der Spur - Berliner Sensorgeschichten", oder nachvollziehbare Anleitungen für die Verwendung von Sensordaten zu geben ("Wenn Dies Dann Das").
Feedback
Wir konnten Stadtpuls bei vielen Events präsentieren, etwa bei einem der regelmäßigen TTN-Community-Treffen, beim Berliner Infralab, in der Offenen Werkstatt der Technologiestiftung Berlin, auf dem CityLAB Developer Meetup oder einem gemeinsamen Austausch mit der Tegel Projekt GmbH. Ganz besonders Spaß gemacht haben uns die interaktiven Workshops auf der re:publica 22 und auf dem CityLAB Sommerfest. Hier konnten wir gemeinsam mit interessierten Tüftler:innen einen praktischen Einblick geben, wie man die Sensordaten eines ESP32 Boards an Stadtpuls sendet.
Über das positive Feedback aus allen Bereichen haben wir uns besonders gefreut:
Alles super, ...oder?
Nicht ganz. Trotz des durchweg positiven Feedbacks sind die Nutzer:innen-Zahlen hinter unseren Einschätzungen zurückgeblieben, im Zeitraum von neun Monaten konnten wir nur etwa 60 Accounts registrieren, einige davon blieben ungenutzt. Es gibt unterschiedliche Gründe dafür, die uns plausibel erscheinen:
- Wir haben es innerhalb der Projektlaufzeit nicht geschafft, Stadtpuls einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen und für die Bereitstellung und Nutzung von Sensordaten zu werben.
- Das Thema IoT-Sensorik ist noch nicht so verbreitet, wie wir es gehofft haben. Vielen Interessierten fehlen noch konkrete Projektideen, die umgesetzt werden können.
- Stadtpuls ist zwar einfach zu bedienen, die Integration via TTN (“The Things Network”), ist aber deutlich komplexer und kann Laien vor eine Geduldsprobe stellen.
- Sensor-Projekte lassen sich auch ohne Stadtpuls-Integration umsetzen, der Mehrwert der Plattform wiederum ergibt sich aus der Bereitstellung der Messdaten als Open Data, was nicht für jedes Projekt relevant ist.
- Das Henne-Ei-Problem: Ohne Daten keine Nutzer:innen und umgekehrt. Gerade zu Beginn eines neuen Angebotes ist es wichtig, sogenannte "Early Adopter" und Content-Lieferanten zu finden, die das Konzept verstehen und aktiv unterstützen, damit eine relevante Menge an Inhalten aufgebaut werden kann, die dann von anderen verwendet werden. Ohne Musik kein Spotify, ohne Filme kein Netflix, ohne Sensordaten kein Stadtpuls. Wir sind als Team nicht so aufgestellt, dass wir dauerhaft die Vielzahl aktiver Projekte so unterstützen können, wie es notwendig wäre, um ein Angebot wie dieses einem breiten Publikum bekannt zu machen.
- Die angeschlossenen Sensoren generieren eine beachtliche Menge Daten, die wir über Echtzeit-Charts auf der Seite einbinden. Das stellt hohe Ansprüche an die Performance der Website dar und hat die Benutzung des Angebotes erschwert. Ein umfangreiches "Refactoring" konnten wir während der Projektlaufzeit nicht angehen.
Fünf Szenarien und eine Teamentscheidung
Um mögliche Optionen abzuwägen und über das weitere Vorgehen zu entscheiden, haben wir das Team des CityLABs zu einem “Post Mortem”-Termin zusammengerufen und fünf Szenarien entwickelt, wie wir mit Stadtpuls fortfahren können. Durch die unterschiedlichen Qualifikationen im Team ergeben sich oft hilfreiche Perspektiven, die wir als Innovationslabor nutzen, um möglichst objektive Entscheidungen zu treffen.
Szenario 1: Wir lassen alles, wie es ist.
Der Aufwand bliebe weiterhin gering, ebenso aber auch der Mehrwert für Nutzer:innen.Unsere Bewertung: Keine echte Option.
Szenario 2: Wir entwickeln Stadtpuls weiter.
Unser Backlog war prall gefüllt: Performance-Verbesserungen & Bugfixes, unterschiedliche Darstellungsoptionen bei den Diagrammen, die Anbindung externer Plattformen, eine Suche mit Filtern, eine neue Startseite und und und... Damit einhergehend müsste der Community-Support ausgebaut und Zielgruppen direkt angesprochen werden und die Plattform über einen langen Zeitraum unterstützt und über die verschiedenen Kommunikationskanäle (Blog, Social Media, Presse etc.) bekannt gemacht werden.Unsere Bewertung: Der damit verbundene hohe personelle Aufwand ermöglicht es uns leider nicht, Stadtpuls intensiver zu unterstützen.
Szenario 3: Wir entwickeln Stadtpuls zurück.
Getreu dem Motto "weniger ist mehr" könnte man die Plattform auf die technische Bereitstellung einer API für IoT-Sensorik reduzieren und einen fokussierten Weiterbetrieb ermöglichen.Unsere Bewertung: Der Rückbau würde dennoch einen erheblichen Aufwand erfordern und Community Support wäre weiterhin zwingend notwendig.
Szenario 4: Wir übergeben Stadtpuls an Dritte.
Wir würden uns freuen, wenn Stadtpuls als Open Source-Projekt weiterlebt und von einer engagierten Community weiterentwickelt wird.Unsere Bewertung: Aufwand und Kosten für eine Übernahme sowie den Weiterbetrieb wären nicht unerheblich und es gibt aktuell keine aktive Community, die sich für das Projekt einsetzen könnte.
Szenario 5: Wir beenden Stadtpuls.
Es ist wichtig, Projekte zu beenden, wenn die Gründe für einen Weiterbetrieb nicht ausreichen.Unsere Bewertung: Auch wenn es schmerzt, eine so schöne Idee wie die hinter Stadtpuls nicht weiterverfolgen zu können, haben wir wertvolle Erkenntnisse gesammelt und viel über die Themen IoT und Echtzeitdaten, Plattformen, Public APIs und User Management gelernt und Interessierten ein attraktives und kostenloses Angebot gemacht. Darauf sind wir stolz.
Was wir für uns gelernt haben
Wir sind dankbar für die Erfahrungen, die wir im Laufe des Projektes sammeln durften. Diese helfen uns, zukünftige Projekte noch besser planen und umzusetzen zu können. Zwei Punkte sind uns zukünftig besonders wichtig, wenn wir über die prototypische Umsetzung einer neuen Idee entscheiden:
Zielgruppen besser verstehen und klare Anwendungsfälle identifizieren
Wir möchten zukünftig mehr Zeit investieren, um mit potenziellen Nutzer:innen zu sprechen und herauszufinden, welches konkrete Problem wir mit einer Anwendung lösen könnten. Der Bedarf an einer offenen Datenplattform für Sensordaten wird in Berlin im Kontext der Digitalisierung regelmäßig thematisiert und wir haben großen Zuspruch erhalten, einen solchen Dienst bereitzustellen. In der Praxis zeigte sich aber, dass viele Akteure keine klare Vorstellung hatten, welche Daten erhoben werden sollen. Auch fehlten Ansprechpartner:innen, die ein solches Vorhaben betreuen. Für zukünftige Projekte nehmen wir uns vor, die Expertise unseres Service Design-Teams stärker zu nutzen, um im Vorfeld der Umsetzung eine Art “Use-Case Werkstatt” mit Interessierten durchzuführen und basierend auf diesen Learnings die zu erwartende Nachfrage und die notwendige Unterstützung besser abschätzen zu können.
Machbarkeit innerhalb der eigenen Möglichkeiten prüfen
Ein Projekt wie Stadtpuls ist komplex und unser persönlicher Qualitätsanspruch hat uns dazu motiviert, einen Service zu entwickeln, der mit kommerziellen Angeboten vergleichbar ist. Dem konnten wir aber nicht immer gerecht werden, denn das CityLAB als Innovationslabor Berlins entwickelt vor allem prototypische Lösungen, um Bedarfe zu verifizieren. Damit solche Lösungen in eine Verstetigung gehen können, muss sich innerhalb des Testzeitraums sowohl ein klarer Bedarf als auch ein nachhaltig tragbares Betreibermodell herauskristallisieren. Denn die Entwickler:innen unseres Prototyping-Teams haben nicht die Kapazitäten im Entwickler:innen-Team, ein solches Projekt durchgehend zu betreuen. Auch bedarf es eines stetigen Community-Managements, um Support und Hilfe zu leisten, auf Veranstaltungen zu präsentieren, Meetups durchzuführen und aktiv den Aufbau einer Nutzer:innen-Basis voranzutreiben.
Der Abschluss
Wir haben diese Rückschau genutzt, um nicht nur unsere Erfolge, sondern auch die Fehler und Rückschläge ganz transparent zu kommunizieren. Denn als Innovationslabor sind wir der festen Überzeugung, dass nicht nur wir am meisten daraus lernen können – auch anderen Teams können unsere Erfahrungen helfen, ähnliche Projekte besser zu bewerten.
Damit die gute Idee hinter Stadtpuls nicht verloren geht, schalten wir die Website nicht einfach ab, sondern überführen sie in einen Zustand, der das Projekt weiterhin erfahrbar macht und so erhalten bleibt, was Stadtpuls war, inklusive der Funktionalität und Dokumentation. Und natürlich bleibt der Code als Open Source unter https://github.com/technologiestiftung/stadtpuls verfügbar. Wir bleiben dem Thema IoT und Echtzeit-Sensorik auf jeden Fall treu und freuen uns bereits auf das nächste spannende Projekt!
Das gesamte Team des CityLAB bedankt sich für Eure Unterstützung,
ganz besonders das Prototyping-Team Dennis, Fabian, Ingo, Julia und Lucas!
Made with ❤️ in Berlin.